1.8.2021 · Musikfreunde · Walter Weidringer

Auf zum neuen Licht

„Doch alle Lust will Ewigkeit“: Gustav Mahler legt in seiner monumentalen Symphonie Nr. 3 einem wissenden Mezzosopran Worte aus Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ in den Mund. Elisabeth Kulman ist eine reflektierende Künstlerin, die gerade deshalb auch um die Endlichkeit weiß – mehr noch: sie umarmt. Nun nimmt sie also endgültig Abschied, nach der Opernbühne auch vom Konzertpodium: im Musikverein, am 27. Oktober in einem Liederabend für die Gesellschaft der Musikfreunde, dem im November noch Mahlers Dritte mit
dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich folgt. Walter Weidringer hat sie getroffen – zu einem Rückblick, der auch Ausblick ist.

Elisabeth Kulman, Ihr letztes halbes Jahr als klassische Lied- und Konzertsängerin ist angebrochen: Wie empfinden Sie diese selbst ausgerufene Endzeit?

Sehr gut! Und damit auch das Publikum es mitempfinden kann, habe ich es rechtzeitig öffentlich gemacht. Vielleicht hole ich damit auch etwas nach, denn mein Adieu von der Oper, mit der Fricka in einer Münchner „Walküre“ 2015, war eher abrupt und für die Öffentlichkeit überrumpelnd. Mir war zwar schon damals klar, dass auch der Zeitpunkt für den Konzertabschied irgendwann kommen würde, aber noch nicht, wann. Natürlich kostet so etwas Kraft und Mut, denn nichts wäre leichter, als einfach im selben Fahrwasser zu bleiben. Das Stoppschild, das im Moment Corona der Menschheit vor die Nase hält, habe ich schon einige Jahre zuvor bei meinem Burnout gesehen – und dabei erfahren, wie gut einem ein Innehalten tun kann, eine seelische Inventur. Was passt noch, was nicht mehr, was gehört zu einem, was muss man ändern? Wer Lust hat, mit mir gemeinsam den Schlussgesang zu feiern, ist herzlich eingeladen.

Gerade haben Sie, als eines Ihrer letzten Projekte, die Ulrica in einer Studioaufnahme von Verdis „Un ballo in maschera“ gesungen. Warum gerade diese Partie?

Ich habe mir gewünscht, einmal noch die Stimme im italienischen Repertoire voll strömen lassen zu können! Es hat mir einen Riesenspaß gemacht, und ich glaube auch, dass ich zufrieden sein darf und mich vor den großen Vorgängerinnen der Plattengeschichte nicht schämen muss. Wenn so etwas optimal funktioniert, staune ich selbst, was für ein Himmelsgeschenk da durch mich hindurchfließt. Meine Aufgabe als Sängerin habe ich immer darin gesehen, alle Hindernisse zu beseitigen, die dem im Weg stehen. Das lässt sich auch aufs Leben übertragen: die Blockaden einfach loslassen! Ich sage „einfach“, weiß aber, dass es nicht leicht ist.

Die Partie der Ulrica liegt tief, Sie können Ihr volles Brustregister zeigen, müssen aber auch in der Höhe bis zum As in Form sein. Was waren die speziellen, lehrreichen Tiefen und die besonderen Höhepunkte in Ihrer Karriere aus heutiger Sicht?

Vor dem Burnout war der Fachwechsel vom Sopran zum Mezzosopran ein enormer Einschnitt. Für mich als Perfektionistin ist eine Welt zusammengebrochen, als ich als Mozarts „Figaro“-Gräfin plötzlich nicht mehr aufs hohe C hinaufkam. Damals habe ich auch die dunklen Seiten des Klassikbetriebs plötzlich und sehr direkt kennenlernen müssen. Aber an den Krisen lernt man am meisten, dort wo es wehtut, steckt das größte Potenzial. Sobald man auch den Schmerz zulässt, der gefühlt werden will, hat man schon den ersten Schritt zu seiner Überwindung geschafft. Man muss durch den dunklen Tunnel hindurch, um draußen das Licht wieder finden zu können. So betrachtet werden solche Tunnel im Laufe der Zeit immer spannender, das Licht an ihrem Ende noch heller. Mut verwandelt sich dann in Abenteuerlust.

Und die Höhepunkte?

Wagners Wesendonck-Lieder mit den Wiener Philharmonikern und Semyon Bychkov, 2013 in Salzburg bei der Mozartwoche und später auf Tournee. Das war überirdisch, das Orchester und ich sind miteinander verschmolzen, das Publikum hat getobt. Mit den Besten der Besten singen zu dürfen und von ihnen auf Händen getragen zu werden – gibt’s etwas Schöneres? Die  Zusammenarbeit mit Nikolaus Harnoncourt über mehr als zwanzig Jahre hat mein ganzes musikalisches Denken geprägt. Vielleicht habe ich durch ihn überhaupt diesen Beruf ergriffen. Und dann natürlich „La femme c’est moi“, die Show, die ich mir auf den Leib geschrieben habe, erfolgreich von München bis Tokio, in der knallvollen Wiener Staatsoper mit Standing Ovations gefeiert: Was könnte ich mir mehr wünschen? Ich habe mir alle künstlerischen Träume erfüllt.

Ihren persönlichen „Maskenball“, also den Mummenschanz der Opernbühne, haben Sie schon länger hinter sich gelassen. Nun auch den Gesang an sich: Wird das nicht eine unvorstellbare Lücke hinterlassen? Oder ist das nur der konsequente nächste Schritt?

Beides. Ich denke, alles was im klassischen Bereich möglich war, habe ich ausgeschöpft. Ich kann mir vorstellen, mein Instrument weiter zu nutzen – aber nicht mehr in diesem Betrieb. Ich sehe ihn sehr problematisch, zu eitel, zu starr und festgefahren. Schon allein die Kommunikation mit unserem Publikum stimmt doch nicht. Eingezwängt in enge Sitze soll es stillsitzen und dann hinterher in diesem unzulänglichen Ritual die Hände zusammenklatschen. Das ist doch kein adäquater Energieaustausch! Unsere Aufgabe als Musiker ist es, Menschen emotional zu berühren,  sie zum Nachdenken oder gar zum Jauchzen und Tanzen anzuregen, jedenfalls sie in innere oder äußere Bewegung zu bringen. Vielmehr als Applaus freut mich, wenn ich das Leuchten in den Augen der Menschen sehe – dann sind sie lebendig! Vielleicht kann ich in der Intimität des Studios noch etwas erreichen. Mein Pianist Eduard Kutrowatz hat mich hartnäckig überzeugt, dass wir unser großes Liedrepertoire noch in irgendeiner Form dokumentieren sollten – als Geschenk für unser Publikum, sozusagen als Nachlass.

Gibt es so etwas wie eine Verpflichtung dem eigenen Talent gegenüber?

Habe ich diese Verpflichtung nicht übererfüllt? Ich denke, ein solcher Vorwurf wäre unangebracht. Außerdem hat jeder Mensch das Recht, völlig frei zu entscheiden, was er macht oder nicht macht. Der freie Wille steht über allem.

Aus dem 22. April – dafür war Ihr Musikvereinsliederabend eigentlich geplant – wird der 27. Oktober 2021, aber, viel dramatischer: Aus einem Liederabend wird ein ganz bestimmter, nämlich der wirklich letzte, im Musikverein. Wie kann man für einen solchen Anlass überhaupt das Programm finden?

Wir haben es eh noch nicht! (lacht) Ich habe mir ausbedungen, dass es spontan bleiben darf. Vielleicht kommt nach einem fixen ersten Teil nach der Pause eine Art von Wunschkonzert, die Lieder, die die Fans per Abstimmung auf Social Media auswählen dürfen. Irgend so etwas. Das könnte lustig werden. Wir werden uns jedenfalls etwas Besonderes einfallen lassen, ein Fest soll es sein – und am Schluss wird sicher ein Schmunzeln stehen.

Sie haben enorm viel überfällige Diskussionen angestoßen und Verbesserungen erreicht, von Probenbedingungen bis zur Aufarbeitung von sexueller Belästigung in der Branche. Wie geht es mit diesen Projekten weiter?

Beim Youtube-Kanal „What’s Opera Doc“ sind die zu behandelnden Themen und das Interesse nach wie vor riesig, aber ich wünsche mir, dass das ohne mich weiterläuft, dass auf meiner Vorarbeit aufgebaut wird und die nötigen Strukturwandel endlich einsetzen. Mir ist wichtig, nicht vergessen zu lassen, dass Musik „die Nabelschnur“ ist, „die uns mit dem Göttlichen verbindet“, wie Nikolaus Harnoncourt so wunderbar gesagt hat. Das ist das Allerwichtigste, das wir immer im Bewusstsein haben müssen. Im Betrieb geht es derzeit so oft und so sehr um alles andere: um Geld, Ansehen, Selbstdarstellung, Macht. Nicht vereinzelte Sternstunden, sondern was für himmlische Wunder könnte das Publikum in Hülle und Fülle erleben, wenn die Ego-Spiele endlich wegfallen würden!

Haben Sie Interesse am Unterrichten?

Nein, in dieser Rolle sehe ich mich nicht. Wer mich singen hört oder meine Aufnahmen anhört, kann sich was herausziehen oder auch nicht. So lasse auch ich mich von allem Möglichen inspirieren und finde meinen ureigenen Zugang. Diese Selbständigkeit, die in unserem Schulsystem leider weitgehend nicht vorkommt, diese Eigenverantwortung, die brauchen wir. Impulse, Ideen, Inspiration gebe ich gerne. Aber jemand Stück für Stück heranzuziehen, die Traditionen des Klassikbetriebs zu vermitteln, mit denen ich selbst immer wieder gebrochen habe? Das passt wohl nicht. Auch die ewige Repetition ein und desselben Repertoires … wir brauchen neue Kompositionen, neue Genres, neue Formate. Und vor allem Menschen, die sich trauen, Grenzen zu überschreiten, Neues auszuprobieren, und Ausbildungsstätten, die diese Kreativität unterstützen und fördern. Gerade in dieser Zeit des Wandels werden die künstlerische Schaffenskraft und der Ideenreichtum die wichtigsten Eigenschaften sein.

Was denken Sie zu: „Sag niemals nie?“

Schon bei meinem Abschied von der Oper habe ich diesen Satz dauernd gehört – mit dem Unterton, ich würde es schon nicht so ernst meinen. Aber wenn ich eine Entscheidung treffe, dann gibt es kein Zurück. Ich will das neue Licht sehen.

Das Gespräch führte Walter Weidringer.

https://www.musikverein.at/magazin/2021/september-oktober/auf-zum-neuen-licht

 

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